Die US-amerikanische Rockband Fanny wird gerade auf der ganzen Welt entdeckt und wieder entdeckt. Spektakulär ist das. Einmal, weil die Band ihre Hochphase in der Zeit zwischen 1969 und 1974 hatte und quasi in Vergessenheit geriet. Zum anderen, weil es sich bei Fanny um eine reine Frauenband handelt, deren Schicksal es war, in eine Zeit geboren worden zu sein, in der das Patriarchat der Musikindustrie den Musikerinnen keine Chance gab, sich auf dem internationalen Musikmarkt etablieren und in das kollektive Musikgedächtnis einbrennen zu können.
Am 08.03.2019 hatte ich in einer Mittagspause auf YouTube nach Little Feat recherchiert, die anzuhören mir sehr ans Herz gelegt wurde. Bei dieser Recherche stieß ich auf ein Video, das vom legendären Beat-Club von Radio Bremen präsentiert wurde.
Mehr zufällig startete ich dieses Video und war, so schrieb ich seinerzeit in ein Forum, geflasht: mein lieber Scholli! Was man dort zu sehen und zu hören bekam, war allerbeste Rockmusik, die so tight und auf den Punkt gespielt und gesungen war, dass es mir die Sprache verschlug. Es ist wirklich schwer, das Erlebte in Worte zu fassen.
Insbesondere die zweite Hälfte des rund 36minütigen Videos war fortan mein ständiger morgiger Begleiter. Beginnend mit dem Marvin Gaye Cover Ain’t That Peculiar, das mich in die Ecke groovte und vom Rocker Blind Alley gefolgt wird, das als das Paradestück des 70s Rock eigentlich in jedem Rock-Alamanch enthalten sein und in höchster Verzückung vom hiesigen Feuilleton besprochen hätte werden müssen. Beendet wird das Video mit Special Care, bei dem mir die Kombination aus Soul, Groove und Aggressivität in Jeans kraftvoller Stimme eine Gänsehaut nach der anderen über Nacken und Arme jagt.
Und ich erinnere mich noch wie heute an den Tag, als ich mich beim Anschauen des Videos die ganze Zeit fragte: Wer ist die Band? Wieso kenne ich die nicht? Das ist schon 50 Jahre her?
Dass es mir nicht allein so geht, zeigen die unzähligen Kommentare unter dem Video.
Neugierig machte ich mich auf die Suche nach weiteren Infos und konnte einige wenige Quellen auftun, die mich etwas schlauer machten und die ich Euch nicht vorenthalten möchte.
Zunächst einmal die Band: Sie heißt Fanny, was umgangssprachliche im US-amerikanischen Englisch wohl soviel wie Hintern bedeutet. Im UK Englisch ist Fanny wohl ein Ausdruck für den weiblichen Nordpol, wenn man den Hintern als Südpol betrachten möchte (Fun Fact vorab: dieses Wortspiel hat die Engländer wohl neugierig auf die Band gemacht – wo Fanny am Ende auch sehr beliebt und erfolgreich waren).
Die Band bestand zum Zeitpunkt der Beat-Club Aufnahmen aus:
June Millington – Gitarre, Gesang
Jean Millington – Bass Gesang
Alice de Buhr – Schlagzeug, Gesang
Nickey Barclay – Piano, Orgel, Gesang
Weitere Mitglieder waren vorher und nachher: Patti Quattro (Gitarre, Gesang), Brie (Howard-Darling) Brandt (Schlagzeug, Gesang) und Cam Davis (Schlagzeug).
Das Quartett hat zwischen 1970 und 1974 vier Alben produziert: Fanny, Charity Ball, Fanny Hill und Mother’s Pride.
Allerdings war es mir zu dem Zeitpunkt nicht möglich, auch nur eines der Alben anzuhören: es gab sie nirgends. Selbst beim Spezialisten Bear Family Records wurde Fanny Hill als nicht mehr lieferbar bezeichnet und scheint mittlerweile komplett aus dem Programm gestrichen.
So erfreute ich mich einige Zeit über das Beat-Club Video, das dann aus mir unverständlichen Gründen plötzlich abgestellt war. Weg. Es gab es nicht mehr. Nur noch Ain’t That Peculiar ließ sich abrufen.
Offenbar scheint es aber momentan so etwas wie eine Renaissance von Fanny zu geben. Begonnen in den USA, wo immer mehr Interviews der Musikerinnen veröffentlicht wurden. Aber es mehren sich auch deutschsprachige Kommentare, so dass davon auszugehen ist, dass sich Fanny einer immer größeren Beliebtheit auch auf dieser Seite des Atlantiks erfreuen. Vor allem bei solchen Musikliebhabern wie mir, die vor 50 Jahren noch im Teich schwammen.
Und man muss dazu sagen, dass Fanny mit dem Who is Who der damaligen Rockelite gespielt hat und u.a. eng mit Bonnie Raitt, Little Feat und Todd Rundgren war. In David Bowie dürften sie wohl den berühmtesten Fan gefunden haben, der (SIC!) Fanny damals Kopien seiner Alben schickte mit der Bitte um Einschätzung.
Tragisch ist, dass Fanny vom Management und von Journalisten lediglich als „Gimmick“ betrachtet wurden. Mit Aussagen wie „Nicht schlecht – für Mädchen!“ wurde den talentierten Musikerinnen immer wieder vor Augen geführt, dass sie und ihre Kunst nicht ernst genommen wurden. Hinzu kam, dass die Alben – obwohl wirklich schön anzuhören – in ihren Augen überproduziert waren. Zu glatt, zu freundlich – Pop.
Fanny selbst verstanden und gaben sich als echte Rocker und Alice de Buhr verweist in einem jüngeren Interview (s.o. Video) auf eben das Beat-Club Video und sagte sinngemäß: Das sind Fanny. Keine Bläser, keine Streicher, einfach Fanny. Roh und direkt. Sie führt in diesem Zusammenhang auch eine tontechnisch leider schlechtere Aufnahme aus Frankreich an, die aber die Rauheit und das direkte von Fanny so wiedergeben, wie sie sich selbst gesehen haben.
Und das sind sie, das wird deutlich. Das gleichsam halsbrecherische und banddienliche Schlagzeugspiel von Alice de Buhr bildet mit dem Groove des Basses von Jean Millington das Fundament, während June Millington mit ihrem rotzigen Gitarrenspiel den Drive beisteuert und Nickey Barclay an den Tasten einfach nur atemberaubend ist.
Sie ist es auch, die maßgeblich das Songwriting der Band nach vorne gebracht hat und mit ihrem expressiven Gesang stilbildend für die Band ist. Was für ein Organ – ich habe manchmal gedacht, dass sie das weibliche Pendant am Klavier zu Steve Marriott sein könnte. Aber singen können Jean und June auch, was sie im Video beweisen.
Alice de Buhr, über deren Spiel ich mich an manchen Stellen des Beat-Club Videos besonders gefreut habe – so zum Beispiel, wie sie mit ganzem Körpereinsatz die Breaks bei Ain’t That Peculiar (anschauen und genießen!) nicht nur spielt, sondern deutlich sichtbar fühlt. Oder der Drumpart bei Blind Alley, wo sie Nickey Barclay mit halboffener 1/8 Hihat geradezu zu treiben scheint, um dann im nächsten Teil des Songs mit mit ihren Toms und punktgenauer Akzentuierung das bombastische Fundament zu Jeans Bass zu bilden – scheint momentan die Gralshüterin über das Vermächtnis von Fanny zu sein und bietet auf ihrer Website viele interessante Infos zur Band. Und man kann dort die Alben kaufen!!! Einen aktuellen Podcast mit Infos findet Ihr dort auch.
Momentan scheint sich unter der Haube auch etwas zu tun. Kürzlich wurde ein Trailer für eine Dokumentation veröffentlicht, in der wohl Fans als auch alte Weggefährten zu Wort kommen. Man darf gespannt sein.
Ob man Fanny noch einmal gemeinsam auftreten sehen wird, steht wohl in den Sternen. Jean Millington erlitt vor einigen Jahren einen Schlaganfall und befindet sich wohl noch auf dem Wege der Besserung. An dieser Stelle auch von hier: gute Besserung, Jean!
Wer mehr über Fanny erfahren möchte, schaue hier:
fannyrocks.com
Fanny bei Wikipedia (deutsch) und Wikipedia (englisch)
Interview 1 mit Alice de Buhr
Interview 2 mit Alice de Buhr
Interview mit Brie (Howard) Darling
Podcast
YouTube Beat-Club Feature
YouTube Fanny Rocks
YouTube Fanny: The Right To Rock
Foto: Screenshot aus dem Beat-Club Video Fanny | BC 73 IV Z 1/1 – 1971-11-23
Schreibe einen Kommentar