Wasnnu los? Es ist doch gerade erst ein gutes Jahr, dass die St. Pauli Vollgasrocker Ohrenfeindt ihr Album Zwei Fäuste für Rock’n Roll veröffentlich haben, und nun folgt ganz untypisch in einem Jahr mit gerader Jahreszahl die Veröffentlichung des neuesten Werks von Ohrenfeindt: Tanz nackt..
Verlass war auf das Powertrio um Chris Laut ja schon immer: alle zwei Jahre ein Albumkracher und dazwischen Live-Gigs zum Genießen der Musik vor Ort. Nun haben die Norddeutschen Rocker die Schlagzahl der Albumveröffentlichungen mal eben so verdoppelt – und nicht nur das.
Im Spätfrühjahr habe ich mit Chris telefoniert und da hat er mir versprochen, dass es schon Ende August ein neues Album geben werde. Man kann sich gut vorstellen, dass ich dem Veröffentlichungstermin geradezu entgegengefiebert habe, weil ich so eine Ahnung hatte, irgendwas könnte anders sein.
Heute war es dann soweit: Tanz nackt. ist da!
Und nach meinem ersten Aha-Erlebnis mit Ohrenfeindt, was ich vor mittlerweile 11 Jahren in Gießen hatte, und weiteren Gelegenheiten, die Band kennzulernen, komme ich heute aus dem Staunen nicht heraus und habe Tanz nackt. in Dauerschleife laufen.
Männer, das habt Ihr richtig richtig gut gemacht! Ihr habt endgültig den Schlüssel gefunden, wie Musik vom Ohr direkt ins Herz geht! Dass mir die Musik von Ohrenfeindt gefällt, habe schon des öfteren beschrieben. Obwohl sich vom Konzept nicht viel geändert hat – Rock, gute deutsche Texte, charakteristischer Gesang, Brachialgitarre, Powerbass und straighte Bumbumtrommel -, haben die drei Musiker ihre Musik auf ein neues Level gehoben. Punkt.
Die Geschichten werden so erzählt, dass man sie bis zum Ende hören möchte. Dinge, die wir alle aus unserem Alltag kennen, werden aufgegriffen und zum Teil mit einem verschmitzten Gedanken auf den Punkt gebracht.
Was ich als neu empfinde ist, dass die Arrangements viel durchdachter sind und wahnsinnig viel Kraft entwickeln. Neben Keules obligatorischer Rockgitarre, dem brillant druckvollen Bass von Chris und dem treibenden Schlagzeug von Andi schummeln sich Bottleneck, Piano, Orgel, Chöre und – moment mal – Sitarklänge (?!) in die Musik. Da hebt man schon einmal vorsichtig die Augenbraue. Die Strukturen der Songs haben sich verändert, sind abwechslungsreich und bieten manchmal unerwartete Gimmicks.
Aber keine Angst – Tanz nackt. ist nicht Ohrenfeindts Load. Natürlich gibt es auch die straighten Rocker, für die wir Ohrenfeindt so schätzen.
Aber was passiert denn da noch alles: da überraschen und Andi und Chris plötzlich beim Titel „Schmutzige Worte“ mit unerwarteter Rhythmusarbeit, während Keule sein Bottleneck über das Griffbrett gleiten lässt, dass den Schlangen in der Schlangegrube schwindelig wird.
Mein Highlight des Albums ist „Wenn das alles nicht mehr wehtut“. Hört Euch das mal an, wie sich die Orgel anfangs Aufmerksamkeit verschafft, sich dann dezent im Hintergrund hält, um sich ausdruckstark in den Refrain zu schleichen und irgendwann unerbittlich in den Chor überzuleiten, der nicht unisono singt, sondern fein harmonisiert Chris Leiden verstärkt.
Der Song atmet, nicht zuletzt auch wegen Keules differenzierter Gitarre. Eben noch crunchy, dann plexihart und im Solo eindringlich – und sorry, Keule, Angus gleich, voll emotional zum vorläufigen Höhepunkt. Zusammengehalten von Chris, der alles aus Babe oder Bride herausholt – sogar einen Lauf, was ich bisher außer auf diesem Album nur sehr selten gehört habe. Last but not least Andi. Was für ein Schlagzeuer, der die Seele des Songs geradezu inhaliert und mit seinem Spiel das Herz dazu liefert. Reduziert und akzentuiert ist sein Spiel das Fundament, das Chris und Keule die Basis für eine großartige Powerballade liefert.
Schließlich ist mir noch aufgefallen, dass sich der Sound Album spürbar hörbar von den Vorgängern abhebt. Insgesamt klingt diese Produktion ausgewogener und druckvoller. Vielleicht ist es nur subtil, aber der Sound schmeichelt den Ohren und brennt sich nicht direkt ins Gehirn, sondern ermutigt zum Anhören. Auch gerne mal lauter.
Ich bin begeistert. Mit Tanz nackt. haben Ohrenfeindt ein wunderbares Rockalbum veröffentlicht, das nicht nur auf dem Plattenteller Freude bereiten wird.
Foto: Billy Schwalbe