Agnes Obel hat am 21.02.2020 das Album Myopia veröffentlicht.
Man soll ein Buch nicht nach dem Cover beurteilen, weil oft genug dem anziehenden Cover eine inhaltliche Enttäuschung folgt. Dasselbe sollte wohl auch für Albumcover gelten.
In diesem Falle war es aber das Cover vom Album Myopia der in Dänemark geborenen und aktuell in Berlin lebenden Künstlerin Agnes Obel.
Alex Brüel Flagstad, Lebensgefährte und Foto- und Videokünstler hat dieses LoFi oder lomografisch wirkende Foto geschossen, auf dem es scheint, als säße Agnes Obel in einem dunklen Raum vor einem laufenden Fernseher.
Dieses Foto wurde zum Covermotiv des Albums Myopia – Kurzsichtigkeit wird visuell über das Foto transportiert. Und das Cover hob sich in seiner Schlichtheit in einer Anzeige einer Wochenzeitung so von den anderen Alben ab, dass ich darauf aufmerksam wurde und unbedingt wissen wollte, was sich Musikalisches dahinter verbirgt.
Vor allem ist das, was Agnes Obel in ihrem Berliner Studio für Myopia produziert hat, ungewöhnlich. Ich habe derartiges in dieser Form noch nicht gehört.
Es heißt, dass Agnes Obel Klassik mit moderner Musik verwebe und mit Klängen experimentiere. Das ist zweifelsfrei hörbar, doch wenn der – und ich weiß, Künstlerinnen und Künstler hassen das – Versuch eines Vergleichs oder besser der einer Beschreibung erlaubt sei: es fällt mir schwer zu beschreiben, was man auf Myopia zu hören bekommt.
Mal fühle ich mich an Enya erinnert, dann wieder an Sheryl Crow im Song Crash and burn des Albums Globe Sessions und dann überraschen gepitchte Stimmen, die sich zu einem Akkord formen und von einem für mich nicht identifizerbaren Sound gestützt werden (hierzu empfehle ich das grandiose Island of Doom genauer anzuhören).
Weil ich von Agnes Obel bisher noch nie etwas gehört habe, überraschte mich ein sehr ausführlicher Beitrag auf der bekannten Online-Enzyklopädie, der informativ über das bisherige Schaffen und die Erfolge Agnes Obels Auskunft gibt.
Auch der Blick auf YouTube mit über 200.000 Abonnenten ihres Kanals zeigen mir, dass Agnes Obel bei weitem kein unbeschriebenes Blatt ist und wir in der Provinz trotz Internet manchmal ziemlich abgehängt sind.
Umso mehr freue ich mich, dass ich durch das tolle Foto auf ein tolles Album auf eine tolle Künstlerin aufmerksam geworden bin. Ganz ohne Social Media. Geht auch.
Für mich ist ‚Myopia‘ ein Album über Vertrauen und Zweifel. Kannst du dir selbst vertrauen oder nicht? Kannst du deinem eigenen Urteil vertrauen? Kannst du darauf vertrauen, dass du das Richtige tust? Kannst du deinen Instinkten und deinen Gefühlen vertrauen? Oder sind deine Gefühle verzerrt?
Agnes Obel, 2020
Insgesamt besticht das Album durch eine Klarheit, die den Produktionen heutiger Zeit einfach fehlen.
Bestimmt ist Myopia keine leichte Kost für den formatradiogewöhnten Musikhörer. Wer aber bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen und sich die Zeit und Ruhe nimmt, wird auf eine 40minütige Reise in Klangwelten mitgenommen, die ihresgleichen suchen.
Foto: Alex Brüel Flagstad mit freundlicher Genehmigung von Promotion-Werft